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Wildkräuter nutzen: So wird Ernährung nachhaltiger und vielfältiger

Am Wegesrand, auf Wiesen, in Wäldern, Parks und Gärten – überall wächst Essbares. Ohne unser Zutun und meist völlig unbeachtet. Dabei könnten Wildkräuter nicht nur mehr Frische, Geschmack und Abwechslung auf den Teller bringen, sondern auch in Sachen „nachhaltige Ernährung“ punkten. Kräuterexperte Jens Clausen über Löwenzahn, Knoblauchsrauke & Co.

Wie nachhaltig wir leben ergibt sich nicht nur daraus, wie sehr wir unser Müllaufkommen reduzieren, wie oft wir unser Auto stehen lassen und aufs Fliegen und auf Fast Fashion verzichten. Auch was auf unseren Tellern landet spielt eine wichtige Rolle. Viele Menschen kaufen deshalb verstärkt bio, regional, saisonal und zunehmend pflanzenbasiert. Auch der Trend, Gemüse selber anzubauen – im eigenen Garten oder in Gemeinschaftsgärten – zeigt ein wachsendes Bewusstsein für eine nachhaltige Lebensweise. Aber eine eigentlich ganz einfache Möglichkeit, die eigene Ökobilanz zu pimpen, führt noch immer ein Schattendasein: die Nutzung wild wachsender Nahrungsmittel. Mit ihnen wäre ein Stück Nachhaltigkeit in aller Munde.

Wenn die Hühner schlauer sind als der Opa

Bei Jens Clausen ist das anders. Der gelernte Koch, Ernährungsberater und Kräuterexperte aus Schenefeld bei Hamburg hat Wildkräuter täglich auf seinem Teller liegen. Angefangen hat diese Vorliebe vor mehr als vierzig Jahren mit der Vogelmiere und mit seinem Opa, der das Kraut immer aus dem Salatbeet herausgerissen und es den Hühner hingeworfen hat. „Die Tiere haben sich wie wild darauf gestürzt. Nicht umsonst wird die Vogelmiere auch Hühnerschwarm genannt. Die Hühner waren einfach schlauer als mein Opa. Das Kraut schmeckt nämlich nicht nur besser als normaler Salat, sondern enthält auch viel mehr Nährstoffe. Insofern wäre es sinnvoller gewesen, den Salat mit der Vogelmiere zu essen“, meint Clausen.

Vogelmiere von der Nachmittagssonne beleuchtet
Vogelmiere: ein gesunder Snack, der nicht nur Vögeln schmeckt

Die verfrühstückte Erde und ein Richtungswechsel

Aber das sei damals unmodern gewesen. Seine Großeltern hätten zwar noch gewusst, welche Wildkräuter welchen Nutzen haben, aber das Interesse daran sei verschwunden. Wie viele andere Menschen aus dieser Generation haben sich seine Großeltern dem „modernen“ Leben zugewandt: alte Holzmöbel durch Plastikmöbel ersetzt und Wildkräuter zu Unkräutern gemacht. „Auf diese Weise haben wir es geschafft, die gesamte Erde innerhalb von zwei bis drei Generationen zu verfrühstücken“, sagt Clausen. Das Wissen um Wildpflanzen sei langsam verschwunden. Doch seit einiger Zeit bemerkt der 52-Jährige wieder ein wachsendes Interesse rund um Löwenzahn, Lindenblätter und Co. Und so erzählt er auf seinen Kräuterwanderungen vom Vitamin-C-reichen Scharbockskraut, das in alten Zeiten gegen Skorbut eingesetzt wurde. Von den Samen der Knoblauchsrauke, die einen pfefferähnlichen Geschmack haben. Vom Labkraut, das früher zur Käseherstellung verwendet wurde und außerdem eine gute Salatzutat ist. Und vom Gundermann, der mit seinen ätherischen Ölen sehr kräftig schmeckt und deshalb sparsam zu dosieren ist.

Blühende Knoblauchsrauke
Wer die Blätter der Knoblauchsrauke zwischen den Finger zerreibt, der erkennt sofort, wie sie zu ihrem Namen kam.

Unverpackt, ressourcenschonend und nährstoffreich

Während in der normalen Nahrungsmittelproduktion enorme Ressourcen für Anbau, Transport und Handel verbraucht werden, kommen Wildpflanzen ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch aus. Wer sich mit ihnen ein bisschen auskennt, kann auf viele aufwendig verpackte und möglicherweise weit gereiste Nahrungsmittel und Superfoods verzichten. Denn Wildpflanzen haben im Vergleich zu Kulturpflanzen eine sehr hohe Nährstoffdichte. „In den Kulturpflanzen hat sich der Nährstoffgehalt durch Züchtung um 50 – 80 Prozent reduziert“, erklärt Clausen. Genug Energie aus der Nahrung zu ziehen, sei hierzulande nicht das Problem. Etwas schwieriger sei es hingegen, Nährstoffe wie Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe in passenden Menge zu sich zu nehmen. Und gerade in dieser Hinsicht seien Wildpflanzen top.

Natur als Stimmungsaufheller

Aber das ist nicht der einzige Vorteil, den Wildkräuter mit sich bringen. Auch in Sachen Frische sind diese grünen Nährstoffbomben kaum zu überbieten. Was Jens Clausen besonders an dem Wildwuchs liebt, ist das Sammeln der Kräuter. „Das Draußensein in der Natur finde ich wunderbar. Wenn ich mal schlecht drauf bin, gehe ich in den Wald und komme nach ein oder zwei Stunden mit einer Tüte voller Lebensmittel und mit viel besserer Stimmung wieder nach Hause“, erzählt Clausen.

Mehr Biodiversität und Achtsamkeit durch Wildkräuter in der Ernährung

Immer wieder hört Clausen, dass die Teilnehmer seiner Touren nicht nur ein neues Pflanzenwissen mit nach Hause nehmen, sondern auch eine neue Sicht auf ihren Garten und auf die Natur allgemein. Wenn sie Brennnesseln, Knoblauchsrauke und Giersch nicht mehr ignorieren oder in der grünen Tonne entsorgen, sondern auf den Tisch bringen würden, dann sei das schon mal gut. Zusätzlich aber würden viele anfangen, die wilde Vielfalt in ihrem Garten nicht mehr zu bekämpfen, sondern zu schätzen. „Das ist ein guter Schritt, um die Biodiversität in den Gärten zu fördern und die konventionell gepflegte ‚Todeszone Garten‘ wieder lebendig zu machen“, meint der engagierte Kräuterkenner. Auch Achtsamkeit und Wertschätzung der Natur gegenüber bringt das Sammeln von Wildkräutern fast zwangsläufig mit sich: „Wo man seine Lebensmittel pflückt, scheißt man nicht hin“, sagt Clausen.

Vielfalt auf dem Teller

Wird dieses wilde Grün mit der Zeit nicht langweilig? „Nee, überhaupt nicht“, sagt er da. Es gäbe so viel zu ernten: Brennnesseln und ihre Samen, Nelkenwurz, Gundermann, Günsel, Labkraut, Baumblätter wie die von Linden, Buchen oder Birken und so viel mehr. Für ihn als gelernten Koch sind Wildkräuter in ihrer Vielfalt und mit ihren Nuancen eine absolute Bereicherung: „Ich habe der bekannten ‚Frankfurter Grünen Soße‘ die ‚Klövensteener Soße‘ entgegengesetzt mit Sauerklee darin und Knoblauchsrauke. Besonders toll finde ich aber auch einen Limonaden-Mix aus Löwenzahnblüten, Giersch und Zitrone. Oder eine Gurken-Gundermann-Limo. Passt wunderbar“, schwärmt der Koch und blickt dabei um sich ins wilde Gewächs, als wollte er den nächsten Salat komponieren.

Löwenzahnblüten sind vielseitig verwendbar. Sie können in den Salat gegeben werden oder zu Sirup, Tee oder auch Gesichtswasser verarbeitet werden.

 

Achtung! Ernte niemals ein Wildkraut, wenn du dir nicht absolut sicher bist, um welches Kraut es sich handelt, denn es gibt eine ganze Menge wirklich giftiger Kräuter.

2 thoughts on “Wildkräuter nutzen: So wird Ernährung nachhaltiger und vielfältiger

  1. Ein wunderbarer Beitrag über unsere Wildkräuter.
    Ich habe Wildkräuter schon lange in meinen Speiseplan integriert, denn das Wissen über diese Kräuter hat mir schon mein Vater vermittelt, der fast jede Pflanze kannte. Mein Lieblingskraut ist die Brennnessel, weil sie so vielseitig ist. Angefangen bei der Jauche zur Düngung und gegen Schädlinge, dann als Spinat, im Smoothie oder Pesto und natürlich als Tee.
    Ich trockne mir auch viele Kräuter für den Wintervorrat an Tee und Gewürzen.
    Im Moment habe ich Ölauszüge für selbst gemachte Creme entdeckt. Eine Creme mit Löwenzahnblüten duftet wunderbar und eine mit Spitzwegerich hilft gegen Mückenstiche.
    LG Angela

    1. Liebe Angela,
      vielen Dank für deinen Kommentar! Ich finde es auch erstaunlich, was man in Sachen Wildkräuter so alles entdecken kann, wenn man bereit ist, mit einer neuen Brille in die Welt zu schauen. Mit den Brennnesseln will ich mich demnächst auch mal mehr beschäftigen.
      Liebe Grüße sendet
      Katka

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