Permakultur-Designer Edouard van Diem: Machen statt Motzen ?>

Permakultur-Designer Edouard van Diem: Machen statt Motzen

Edouard van Diem plant Waldgärten in Afrika, unterrichtet Studenten in Hamburg und hat ein klimabezogenes Problem mit der Zahl 1200. Was das Ganze zu tun hat mit Sonnentau und einem brüllenden Bauern, verrät er hier.

Die Fensterbank von Edouard van Diem ist international, essbar und ziemlich struppig. Spinate asiatischer und australischer Herkunft, Zitronengras und das chinesische „Kraut der Unsterblichkeit“ reichen dicht an dicht von einem Fensterrahmen zum anderen. Eher Gestrüpp als Dekoration. Das stört van Diem aber gar nicht. Im Gegenteil: Er möchte zeigen, dass man nicht nur Ästhetisches zu Hause ziehen kann, sondern auch Nützliches und Schmackhaftes. Außerdem dient die Fensterbank der Ablegerproduktion: „Hier sind Pflanzen dabei, die im afrikanischen Klima eigentlich funktionieren müssten. Auf meine nächste Reise werde ich ein paar Ableger zum Testen mitnehmen“, erzählt er und nippt an seinem Tee, den er sich kurz zuvor aus einer gläsernen Kanne eingegossen hat. Grüner Tee vom Tag zuvor, in dem die Blätter taumeln.

Eine Wand des Raumes ist fast komplett mit Büchern gefüllt. Über Permakultur natürlich, über Medizinpflanzen und ökologisches Bauen und sogar über das  Aufräumen, über Philosophie und roh-vegane Ernährung. Mitten in dem gut 25 Quadratmeter großen Raum steht ein Tisch mit einem Laptop, Zeitungen und Büchern drauf. Hier in seinem Permakultur-Campus in der alten Viktoria-Kaserne in Hamburg-Altona, in der Kunst-, und Kulturschaffende sowie Gestalter aller Art ihre Wirkstätten haben, führt der 40-Jährige seine Geschäfte. Hier unterrichtet er seine Studenten, plant sein Großvorhaben in Afrika und organisiert seine Tätigkeit als Berater und Unterstützer zahlreicher permakultureller Projekte im In- und Ausland.

Edouard van Diem im Garten
Im Hamburger Volkspark wirtschaften Edouard van Diem und seine Mitgärtner nach den Prinzipien der Permakultur.

Permakultur ist ein Gestaltungskonzept

Dass der Begriff „Permakultur“ häufig reduziert wird auf „Möhre neben Zwiebel“, macht Edouard van Diem fuchsig. „Permakultur ist viel mehr als nur ein Blümchen zu pflanzen. Sie ist ein Gestaltungkonzept, das fast alle lebenswichtigen Bereiche – neben der Landwirtschaft und dem Gärtnern auch Wirtschaft, Kultur, Gesundheit und vieles mehr – durchdringt. Mit diesem Konzept, das auf beobachten, analysieren, designen, umsetzen und erhalten beruht, kann man aus einem systemischen Blickwinkel heraus eine Menge verbessern.“ Das bedeutet eigentlich nichts anderes, als zu versuchen, vor Ort passende und ertragreiche Systeme aufzubauen und zu erhalten, die mit möglichst wenig Aufwand nachhaltig und somit ressourcenschonend funktionieren.

Kooperation statt Konfrontation

Van Diem ein übrig gebliebener Zeigefinger-Öko mit der klaren Mission „Weltrettung“? „Nee“, sagt er da. „Ich beschäftige mich mit Permakultur ja nicht, weil ich in Not den ganzen Tag herumspringe und mich schlecht fühle, sondern weil ich daran glaube, dass dieses Konzept glücklich macht. Es entstresst und bringt mich in Einklang mit meiner Um- oder besser Mitwelt. Denn es ist ein durchweg positiver Ansatz, in dem es um Kooperation geht und nicht um Konfrontation. Kein ständiges gegen, gegen, gegen wie in der Ökobewegung der 80er. Ich kann ganz viel selber anbauen, selber machen und entdecken. Wir haben hier so viele Möglichkeiten und so viele Verfügbarkeiten“, erzählt van Diem und blickt zufrieden Richtung Fensterbank, wo seine weltweiten Spinate und ein „sehr delikater, essbarer Klee mit einer feinen Säure“ gedeihen. „Ich möchte die Vielfalt und die Genialität der Erde immer mehr entdecken und das in meine Arbeit einfließen lassen. Also Menschen, besonders meine Studenten natürlich, dafür begeistern, mal was Anderes und Neues zu tun“, sagt der Überzeugungstäter über die ganzen Möglichkeiten, die seine Welt ihm bietet.

Edouard van Diem im Garten
Für Edouard van Diem gibt es im Garten immer wieder Neues zu entdecken.

Wo die Naturliebe gewachsen ist

Van Diems Interesse an der Natur entstand schon in der Grundschulzeit. Das Waldsterben war in den 80ern ein großes Thema, und viele Schulen reagierten damals darauf, indem sie Schulwälder anlegten. Das begeisterte van Diem genauso wie seine Erkundungstouren in den Norderstedter Wäldern, wo er Rehe beobachtete und Sonnentau entdeckte. Als seine Eltern in Frankreich ein Häuschen kauften, erlebte er „Landleben pur“. „Einmal kam da nachts um 23.00 Uhr bei Gewitter ein Bauer vom Nachbarhof in Gummistiefeln und Friesennerz zu uns an die Tür und schrie uns an, dass er Hilfe bräuchte, weil seine Stute Schwierigkeiten beim Fohlen hätte. Es gab da keinen Strom, das war alles ganz basic. Dieser Bauer hat mich als Kind sehr beeindruckt. Der hatte eine richtige Selbstversorgerfarm.“

Edouard van Diem im Garten
Ein bisschen Wildnis gehört immer dazu, wenn Permakulturisten gärtnern. Edouard van Diem liebt die Vielfalt auf den Beeten.

Lieber was Handfestes als nur geisteswissenschaftliches Geschwaller

Trotz seiner Liebe zur Natur machte Edouard van Diem nach seinem Abitur ein kaufmännische Ausbildung. Weil er aber merkte, dass er damit nicht glücklich werden würde, entschloss er sich, Erziehungswissenschaften zu studieren, Nebenfach Bodenkunde. Doch auch das lief nicht rund. „Dieses geisteswissenschaftliche Geschwaller war einfach nicht meins. Mir fehlte der Gegenstand, der Bezug auf etwas Gemeinsames, auf das man schauen kann“, erklärt er. Er dreht seinen Tee im Becher, nippt, stellt ab, blickt in die Ferne in sich hinein. „Ich habe eine Ausbildung in tiefenpsychologisch-pädagogischer Beratung und Gesprächstherapie nach Rogers gemacht, war in der Evangelischen Kirche aktiv in der Seelsorge und habe immer wieder festgestellt, dass Menschen, die Probleme haben, auch mal von sich wegschauen müssen auf einen Gegenstand außerhalb von sich selbst.“

Permakultur-Designer und Lehrer

Die Krise im Studium führte van Diem in ein Aussteiger-Semester, in dem er anfing, sich mit Selbstversorgung zu beschäftigen. Dabei stolperte er über die Permakultur, die ihn so fesselte, dass er sein Studium schmiss und 2006 in Basel eine Ausbildung zum Permakultur-Designer macht. Nun hatte er den Gegenstand gefunden, der ihm so lange fehlte: die Natur. Bei ihr ist er geblieben und hat seitdem in der Permakultur-Szene viel mitgemischt. Sechs Jahre war er 1. Vorsitzender des Permakultur Institut e.V. und gründete 2012 in Hamburg den Permakultur-Campus. Hier bietet er  Wochenendeseminare an, 72-Stunden-Kurse sowie die deutlich umfangreichere Ausbildung zum Permakultur-Designer. „Es begeistert mich, wenn hier Menschen sitzen, die für etwas brennen. Wenn sie mit leuchtenden Augen eine gute Zukunft gestalten wollen und mit Visionen an Dinge herangehen“. Manchmal klingt er für einen Moment weich-überschlagend, kehrt dann aber schnell zurück zu seinem ruhig-überlegten Ton.

Edouard van Diem
Gartenarbeit macht hungrig: In den kleinen Pausen zwischendurch finden Studenten und Gärtner Stärkung in der improvisierten Laubenküche.

Eine Liebe in Afrika

Um eine eigene Vision zu verwirklichen, hat Edouard van Diem vor Kurzem mal wieder gegründet: einen weiteren Verein, der hauptsächlich Projekte in Afrika umsetzen soll. Afrika ist für van Diem in zweierlei Hinsicht attraktiv. „Zum einen kann man dort mit den einfachsten Mitteln sehr viel bewegen, weil die Menschen da nach guten Projekten hungern und nicht so übersättigt sind wie hier in Deutschland. Und zum anderen lebt dort Rachel.“ Seine Liebe aus dem Kongo, die er momentan nur zweimal im Jahr für jeweils einige Wochen sehen kann. Ob das mal anders wird, und ob er ganz nach Afrika ziehen möchte, das weiß er noch nicht.

Essbare Waldgärten für Sansibar oder Ost-Afrika

Aktuell will er in Hamburg bleiben, den Campus führen, sich ums Fundraising kümmern und seine große Vision von „Essbaren Waldgärten“ für Sansibar oder Tansania vorantreiben. „Das tropische Klima ist dort ideal für diese Art von Gärten. Wir planen gerade ein Musterprojekt und wollen demnächst ein Starterkit anbieten, das es ermöglicht, in sehr komprimierter Zeit ein hochproduktives Waldgartensystem entstehen zu lassen, in dem auf den unterschiedlichsten Etagen geerntet werden kann.“ Was normalerweise 80 bis 150 Jahre dauern würde, dauert dann nur etwa zehn Jahre. Ziel sei es, Ernährungssouveränität herzustellen, einen ökologischen Wiederaufbau zu betreiben, Heilpflanzen anzubauen, Holz zu gewinnen und Arbeitsplätze zu schaffen – Kreisläufe zu installieren.

Edouard van Diem
Weil er oft auf Reisen ist, kommt ein eigener Garten für Edouard van Diem nicht infrage. Macht aber nichts, denn im Volkspark kann er sich gärtnerisch voll austoben.

Ökosünde Flugmeilen

Um zweimal im Jahr vor Ort zu sein, muss Edouard van Diem viele Flugmeilen zurücklegen. Um den Klimaschaden, den er damit anrichtet, ausgleichen zu können, müsste er jedes Jahr 1200 Bäume pflanzen. Das hat er vor wenigen Tagen ausgerechnet: „Fühlt sich richtig scheiße an und hat mich echt geschockt. Aber man muss eben immer Kompromisse machen“, meint er und lässt den Blick über seine wachsende Fensterbank streifen. Vielleicht passt sich die eine oder andere der Pflanzen gut in die Waldgärten ein? Und vielleicht sind 1200 Bäume im Jahr gar nicht so viel, wenn man wie Edouard van Diem gerade dabei ist, ganze Wälder auf den Weg zu bringen.

 

Mehr dazu: www.permakultur-campus.de

6 thoughts on “Permakultur-Designer Edouard van Diem: Machen statt Motzen

  1. Liebe Katka,
    danke für den umfassenden Bericht.
    Auch ich habe 2010 bei Edouard einen PK-Einführungskurs gemacht und bin bis heute von Permakultur fasziniert und erzähle jedem davon, der mir über den Weg läuft :).

  2. Das klingt wahnsinnig interessant. Und zum Thema Bäume, mal dieses Buch lesen: „Der Mann, der Bäume pflanzte“ von Jean Giono.

    1. Vielen Dank für den Tipp! Ich habe gerade nachgelesen, dass das Buch als Klassiker der französischen Literatur gilt. Hat nur vierzig Seiten und soll wunderbar illustriert sein.

      1. Ein herrliches Portrait – ich habe oft geschmunzelt. Klasse, dass du uns immer wieder so interessante Menschen wie Edouard vorstellst.

        1. Liebe Kesch,
          vielen Dank! Freut mich sehr, dass dir das Porträt gefällt. Ich werde versuchen, auch in Zukunft spannenden „Menschen mit Grünstich“ zu finden. Für diesbezügliche Ideen bin ich immer zu haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert