Wurmkiste: Mit Kompostwürmern guten Dünger herstellen
Wir leben in einer Stadtwohnung mit zwei Balkonen, aber ohne eine Tonne für den Grünabfall. Unsere Vision: kein Biomüll, dafür unser eigener Kompost. Unsere Lösung: eine Wurmkiste. Ein Experiment mit Gestanksangst.
Gute Ideen setzt man am besten sofort um. Und wenn’s gerade November ist, dann eben im November. Auch wenn das dann vielleicht doch keine so gute Idee ist. Egal. An einem düsteren Herbsttag also machten wir uns auf zu Nutzmüll, einem Projekt für sozial benachteiligte Menschen in Hamburg. Für 140 Euro gibt’s hier Wurmkisten aus Fichtenholz – und nicht nur das. Im Preis enthalten ist auch ein Päckchen mit Kompostwürmern, die auf den schönen Namen Eisenia fetida hören.
Und wozu das Ganze? Schuld ist unsere Wohnungsbaugenossenschaft, die seit Jahren unsere flehentlichen Bitten nach einer grünen Tonne für den Bioabfall konsequent ignoriert. Andererseits verdanken wir unserer Genossenschaft auch zwei Balkone – reines Potential für jede Menge Grün. Vor allem Tomaten bauen wir seit Jahren mit großer Leidenschaft an. Da benötigt man im Frühjahr säckeweise Blumenerde. Was durchaus ins Geld geht, wenn man sich für die Ökovariante entscheidet.
Zwei Kammern in der Wurmkiste
Doch für den Humus ist ja in Zukunft die Wurmkiste da. 60 Zentimeter breit, 46 Zentimeter tief und 49 Zentimeter hoch ist das Teil, als Sitzbank nutzbar und durchaus hübsch anzusehen. Das Geheimnis der Wurmkiste ist das Zwei-Kammern-System. Zunächst bedeckt man als Grundlage für den Kompost etwa fünf Zentimeter der einen Kammer mit Garten- oder Walderde und gibt die Würmer hinzu. Nun können nach Lust und Laune Gemüse- und Obstreste, aber auch Kaffeesatz und zerkleinerte Eierschalen oder auch abgeschnittene Fingernägel und ausgekämmte Haare hinzugefügt werden. Die hungrigen Biester lieben die Abwechslung! Ist die eine Kammer voll, wirft man die organischen Abfälle in die zweite Kammer. Auf der Suche nach Nahrung wandern die Würmer nach und nach in ihre neue Welt, und wenn nach einigen Wochen alle Würmer hinübergekrochen sind, kann man den Humus der ersten Kammer entnehmen.
Mitten ins Herz der Wohnung
Doch ganz am Anfang war unsere Wurmkiste wüst und leer und es stellte sich die Frage, wohin mit dem Ding. Der Nutzmüll-Prospekt empfiehlt: Im Sommer im Schatten auf den Balkon, im Winter auf den Dachboden (haben wir nicht) oder in den Keller (vier Stockwerke, nein danke). Blieb also, es war halt November, die Wohnung. Da die Kiste an sich ja herzeigbar ist und der Platz im Badezimmer begrenzt, entschieden wir uns zunächst für unseren größten Raum, unser kombiniertes Wohn–/Esszimmer mit Küche. Einen Stuhl am Esstisch ersetzten wir durch die Wurmkiste – unsicher, wie wohl Besucher darauf reagieren würden und vor allem unsere Putzfrau, die uns bei der ersten Besichtigung der Wohnung klar machte: „Ihr braucht Hilfe!“. Die große Angst: der mögliche Gestank. Aber wir dachten: Ein Versuch ist’s wert. Notfalls muss die Kiste eben wieder weichen – wohin auch immer.
Kompostwürmer können ja so sensibel sein
Die Sorgen den Geruch betreffend wurden erstmal abgelöst durch die Sorgen, wo denn die Würmer abgeblieben sind. Ein gelegentliches vorsichtiges Durchsuchen der Erde brachte nur wenige Exemplare zu Tage. Gab’s etwa nicht genug zu essen? Und da machten wir den entscheidenden Fehler: Wir übertrieben es mit der Fütterung. Als Zwei-Personen-Haushalt entsorgten wir all unsere organischen Abfälle in der Wurmkiste. Die Folge waren Fäulnis und – nun ja – Geruchsentwicklung. Tatsächlich ist das richtige Maß an Fütterung ein Lernprozess. Zu viel, vor allem am Anfang, ist nicht gut, zu wenig aber auch nicht: Denn bei Unterfütterung entscheiden sich viele Würmer lieber für Sexverzicht als fürs Anknabbern der Kiste – die Zahl der emsigen Helferlein sinkt.
Tatsächlich hatten wir nur anfangs Probleme mit dem Geruch. Was auch daran lag, dass die Luftfeuchtigkeit im Raum zu niedrig war und sich der Deckel der Wurmkiste wölbte. Daher legten wie ab und zu ein nasses Tuch auf den Deckel – und das Problem war gelöst. Auf die Kiste platzierte Besucher wurden erst nach und nach darüber aufgeklärt, dass sie da auf einem Haufen Würmer sitzen. Und unsere Begeisterung bei der Erzählung ließ jegliche Einwände oder kritische Nachfragen im Keime ersticken. Und wie unsere Putzfrau auf die Kiste reagierte, wissen wir nicht. Sie ist meist da, wenn wir nicht da sind.
Der erste Praxistest ist viel versprechend
Obwohl die erste Kammer erst zu einem Drittel gefüllt war, starteten wir Ende Februar bereits den Umzug der Würmer in die zweite Kammer. Ungeduldig wie wir waren, wollten wir bereits in dieser Pflanzsaison unseren neuen Humus ausprobieren. Mitte April verfrachteten wir die Kiste dann auf unseren Nordbalkon. Es ist kaum anzunehmen, dass die Würmer ihre neue Umgebung bewusst wahrnahmen. Durch den Verrottungsprozess entsteht so viel Wärme, dass die Umgebungstemperaturen keine große Rolle mehr spielen und auch gelegentlicher Frost für die Würmer kein Problem mehr darstellt.
Als wir kurz darauf unsere vorgezogenen Tomaten einpflanzten, mischten wir den Humus darunter – weich und fluffig und angenehm nach Waldboden riechend. Seither inspizieren wir jeden Tag mehrfach die Fortschritte unserer Pflanzen – und sind entzückt. Die Tomaten entwickeln sich prächtig. Gut, das Wetter spielt mit, und auch unser neues Balkongewächshaus leistet ganze Arbeit. Aber eigentlich sind wir davon überzeugt, dass es am Humus unserer fleißigen Würmer liegt.
Der Beginn einer langen Freundschaft
Die fühlen sich auch in der zweiten Kammer pudelwohl. Hebt man die kleine alte Wolldecke an, die wir zum Schutz auf den Kompost gelegt haben, kreucht und fleucht es, dass es eine wahre Wonne ist. Wir hoffen und glauben, die Würmer würdigen es ein bisschen, wie gut sie es bei uns haben. Verzichten wollen wir auf unsere Eisenia fetida jedenfalls nicht mehr. Nix zum Kuscheln, aber schön ist es trotzdem, dass wir nun auch ein paar Haustiere haben!