Lena und ihr Miet-Acker in Appen
Die Hacke in der Hand, ein paar Krümel Erde im Haar und ein Korb prall gefüllt mit Zucchini, Kohlrabis und Salaten. Das ist Lenas Gartenglück. Die 34-Jährige hat sich ihren Traum erfüllt und beackert inzwischen in der sechsten Saison einen Miet-Acker im Hamburger Umland.
Etwa zwei Meter in der Breite und 25 in der Länge misst der Garten von Lena. Es gibt keinen Gartenzaun, keine Bank, keine Laube, keine Bäume oder Sträucher. Nur Gemüse. Links säumt ein Weg die ganzen 25 Meter bis zu einem Areal mit Komposthaufen und zwei Kindersitzbänken, die im hohen Gras fast verschwinden. Auf der anderen Seite des Weges liegen Gärten mit ähnlich ungewöhnlichen Maßen, genauso wie rechts von Lenas langgezogenem Gärtchen. 130 solcher Parzellen liegen dicht an dicht auf dem Schäferhof in Appen bei Pinneberg.
Seit 2010 verpachten Jule und Henry Vickery diese kleinen Anbauflächen an Hobbybauern. „Erntezeit“ nennt sich das Projekt, das auch in der Fischbeker Heide und in Münster zum Gärtnern einlädt. Die Idee: „Erntezeit“ pflügt, eggt, sät und pflanzt, während die Pächter ab Mai die vorbereiteten Gärten übernehmen und sie bis zum Herbst pflegen und beernten. Alles Bioware von Bingenheimer Saatgut, Dreschflegel und Bioland-Gärtnereien aus der Region. Ein Ackerstückchen, das in der Regel fünfzig Quadratmeter umfasst, kostet pro Saison 175 Euro.
Für Hobbybauern ein Gewinn
Ob sich das Ganze lohnt? Wer eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellt, könnte zweifeln. Zwar liegen die Erträge mindestens doppelt so hoch wie die Pachtkosten, aber der eigene Aufwand inklusive der Fahrten sind hier noch nicht eingerechnet. Doch Lena liebt das Gärtnern, das Wühlen in der Erde, das Beobachten und Staunen und letztlich das Ernten. Genauso wie die anderen Pächter: die Studenten, die sich zusammengetan haben, die älteren Damen, die hier gemeinsam wirtschaften, Eltern, die ihren Kindern zeigen wollen, dass Möhren nicht im Supermarktregal wachsen und viele andere quer durch alle Gesellschaftsschichten. „Wer das Ganze als Hobby betreibt und Spaß an Garten und Natur hat, für den lohnt sich so ein Acker auf jeden Fall“, meint Lena und streicht sich mit ihren erdverkrümelten rot-schwarzen Gärtnerhandschuhen eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Vom Land in die Großstadt
Groß geworden ist Lena auf dem Land in einem – wie sie sagt – „Bio-Öko-Umfeld“. Ihre Mutter war immer schon im Garten zugange, hat Gemüse und Obst angebaut, eingekocht und Marmeladen gemacht. Diese Liebe zum Gärtnern hat Lena mitgenommen, als sie nach Hamburg gezogen ist. Hier wohnt sie mit ihrem Mann Philipp und ihren beiden Söhnen (8 und 4) in einem Reihenhaus mit einem eher schattigen „Handtuch-Garten“. Eigenes Gemüse anzubauen funktioniert da nicht.
Ackern fürs Familienglück
Ein Aushang von „Erntezeit“ in einem Café in Ottensen brachte Lena auf die Idee, ein Ackerstückchen zu pachten. Ganz zum Entsetzen ihres Mannes, denn Lena war gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger und Philipp hatte Angst, dass die ganze Arbeit an ihm hängen bleibt. Gärtnern war nämlich nicht so sein Ding und sich die Hände schmutzig zu machen erst recht nicht. Inzwischen sind die beiden in der sechsten Saison dabei, der Garten ist zu einem festen Bestandteil des Familienlebens geworden, und Philipp hilft beim Ernten und bei erdferneren Arbeiten wie beim Schnürespannen für’s Rankgemüse. Außerdem behält er die Kinder im Blick, die am Rande des Ackers in einem Knick ihre eigenen Land-Abenteuer erleben: Toben auf Heuballen, Lagerbau im Gehölz und natürlich Schnitzereien.
Grünzeug naschen bis der Arzt kommt
Und zwischendurch holen sich die Jungs Zuckererbsen direkt vom Beet oder sie ernten einen riesigen Kohlrabi, der Minuten später schon aufgegessen ist. „Den Kindern schmeckt das Essen einfach besser, wenn sie sehen, wo es herkommt. Gerade bei grünem Gemüse klappt das super bei uns“, erzählt Lena. Einmal wäre das Naschen direkt vom Beet fast schief gegangen, als Lenas kleiner Sohn die Stangenbohnen für sich entdeckt hat. Roh sind die nämlich giftig. Mit der Giftnotrufzentrale am Telefon ist aber letztlich alles gut gegangen.
Eine Keule von Zucchini
Für Lena ist das Gärtnern pures Glück. Jedes Jahr ist sie aufs Neue begeistert, was „Erde, Regen und Sonne aus ein paar Samen und Jungpflanzen machen können“. Gelernt hat sie inzwischen so viel, dass sie die Betreiber von „Erntezeit“ unterstützen kann. Sie hilft bei der Feldvorbereitung im zeitigen Frühjahr, übernimmt mitunter die Schlüsselhoheit wenn die Oberbauern Jule und Henry Vickery unterwegs sind und steht den anderen Hobbybauern mit Rat und Tat zur Seite. Sie weiß wie der Hase läuft auf dem Acker und kann zuverlässig die Keimlinge von Möhren, Rucola und Co. erkennen. Anfangs war das anders. Da landete der eine oder andere Keimling auf dem Kompost, weil er irgendwie nach Unkraut aussah. Auch andere typische Anfängerfehler hat Lena nicht ausgelassen, wie beispielsweise den klassischen Zucchini-Fail: Tag für Tag wurde ihre Superfrucht größer und Tag für Tag freute sich Lena mehr über ihr Turbo-Gemüse, das bald die 50-Zentimeter-Marke sprengte. Nach der Ernte die Enttäuschung: Hart und geschmacklos zeigte sich die Keule in der Küche. Seitdem erntet Lena früher.
Bei „Erntezeit“ darf auch der Boden Urlaub machen
Mit etwa zwanzig unterschiedlichen Gemüsesorten werden die Gärten bestückt. Ein paar Streifen bleiben immer frei für die individuellen Pflanzwünsche der Pächter. Erlaubt ist alles, was einjährig und was bio ist. Einjährig müssen die Pflanzen sein, weil die Pacht im Herbst endet und der Boden für die kommende Saison in den Urlaub geschickt wird. Sonnenblumen, Phacelia, Blauer Lein und andere Gründüngerpflanzen sollen dafür sorgen, dass sich der Boden von der intensiven Bewirtschaftung erholt. Die Gärten ziehen also jedes Jahr so auf dem Gelände um, dass sie immer dort eingerichtet werden, wo zuvor eine Gründüngermischung dem Boden ein Regenerationsjahr geschenkt hat.
So nachhaltig wie möglich
Auch der Aufforderung zum reinen Bioanbau kommt Lena gerne nach. Für sie ist das nämlich „die einzige zukunftsfähige Möglichkeit Landwirtschaft zu betreiben“. Nur die Autofahrten zu ihrem Gärtchen machen ihr ein bisschen Sorgen, denn immerhin ist sie von der Haustür bis zum Ackerrand etwa zwanzig Minuten unterwegs. „Das ist natürlich besser als Zucchini und Tomaten, die ganz aus Italien angekarrt werden. Trotzdem wäre ein Stückchen Land direkt bei uns vor der Haustür sicher nachhaltiger. Momentan gibt es diese Möglichkeit aber nicht“, sagt Lena und quetscht eine große Ladung buntstieligen Mangold in ihren prall gefüllten Erntekorb. Dort liegen schon einige Rote-Bete-Knollen, Schnittsalate, Rucola, Radieschen, Petersilie, Buschbohnen, Kohlrabis und Möhren. Obenauf ein Büschel Löwenzahn, damit auch die Meerschweinchen Cola und Laura was von der heutigen Landpartie haben.
Auch interessant: Der Bahrenfelder Luthergarten, ein Begegnungsstätte mit viel Gemüse, Wildnis, Permakultur und Orten der Stille und Gemeinschaft.
Mehr dazu: „Erntezeit“ in Appen
2 thoughts on “Lena und ihr Miet-Acker in Appen”
Toller Bericht und schöne Bilder. Gefällt mir sehr.
Immer, wenn ich Deine Berichte lese und die sehr guten Portraits von den Akteuren sehe, habe ich Lust, gerade die irgendwo zu treffen.
Des Bauern Idee, den vorhandenen Boden so zu „beleben“ und auch in dieser Dimension beherrschbar zu machen, ist genial.